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Wiesbadener Kurier vom 22.12.2003

Mit Kinderreimen zum Dichterfürst

Bonner Poet stiehlt beim Grand Slam im Schlachthof anderen die Show
Von Kurier-Redaktionsmitglied Sonja Probst

Lasse Samström knallt in der Räucherkammer im Schlachthof seine Bierflasche auf den Boden: "Mein Schmopf kerzte sehr, mein Schmopf kerzte sehr", beginnt er zu stöhnen. Im Publikum wird es ruhig, ungewöhnlich ruhig für einen Poetry Slam. Es war "nitten in der Macht" führt der Slammer auf der Bühne fort, als ihm dieser "cuper soole Skinlineater" entgegenkam. Ein Inlineskater, der ihm den letzten Nerv geraubt haben muss, schimpft der Dichter doch erbost: "Ich kinde das zum fotzen. Wenn ich den in die Kringer fiege!" Der Rest geht ihm Giggeln des Publikums unter. Wirklich zu verstehen ist die Geschichte nicht. Trotzdem landet der Sprachakrobat Samström später auf dem zweiten Platz. Neben Inhalt und Performance wird beim Grand Slam 2003 auch Einfallsreichtum belohnt.
Sieben Dichter treten im Laufe des Abends gegeneinander an. Sie alle sind Monatssieger, die in den vergangenen Monaten einen der Slams von "Where the wild words are" gewonnen haben - in der heimischen Räucherkammer, bei "Folklore im Garten", beim Mainzer "Open Ohr" oder auf der Minipressenmesse. Heute geht es um den Jahressieg. Und darum, wer Wiesbaden im kommenden Herbst beim German International Poetry Slam in Stuttgart vertreten wird.
Fünf Minuten hat jeder Dichter Zeit, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Lars Ruppel aus Gambach versucht es mit einer Mallorca-Satire. Jakob Evers aus Frankfurt sinniert über Klopapier, das 50 Prozent mehr Sicherheit verspricht. Der Binger Stefan Schrahe nimmt die Case-Manager und ihre Servicepoints beim Arbeitsamt aufs Korn. Und die Wiesbadenerin Ute Sengebusch träumt davon, als "Königin der Welt" der Öde eines Adventssonntags zu entkommen.
Nach zwei Vorrunden und 130 Stimmzetteln, die von den Veranstaltern ausgezählt werden müssen, hat das Publikum seine Finalisten gewählt. Lino Ziegel aus Gießen (19 Jahre) gibt eine "urbane Fabel" zum Besten. In expressionistischer Manier lässt er die Natur gegen den Menschen kämpfen und landet auf dem dritten Platz. Lasse Samström schlägt dem Publikum die Worte nur so um die Ohren und verlässt als Zweiter den Dichter-Ring.
Mit konsequentem Understatement und irrwitzigen Ideen, die punktgenau den Wahnsinn des Alltags dokumentieren, gewinnt Florian H.H. Graf von Hinten, ein 34-jähriger Autoteile-Verkäufer aus Bonn, schließlich den Poetry Slam.
Ob mit Kinderreimen ("Schwerkraft, Schwerkraft, du wirst oft unterschätzt") oder Auszügen aus seinem Roman "Bei mir treffen sich immer die Irren" - das Publikum fühlt sich bestens unterhalten. Begeistert hängt es an seinen Lippen, wenn er vom Kampf gegen Borg-Frauen berichtet, die ihn nicht nur assimilieren, sondern auch noch zu Ikea verschleppen wollen. Und überhaupt, schimpft er, warum ist "Heavy Petting" inzwischen eigentlich ausgestorben?
200 Euro Preisgeld nimmt der Dichter am Schluss mit nach Bonn, nicht ohne zu verraten, was es denn nun mit dem H.H. in seinem Künstlernamen auf sich hat. "Das bedeutet Herrmann Hubert. Ich heiß´ einfach so", erklärt der bescheidene Poet, der den ganzen Abend mit Mütze und Schal auf der Bühne stand.
Was für ihn den Reiz von Poetry Slams ausmacht? "Früher hat sich ja kein Schwein für Literatur interessiert." Durch die Slams hingegen kämen wieder eine ganze Menge von Menschen zu den poetischen Wettbewerben: "Da fühlt man sich als Dichter nicht allein bekloppt auf der Welt."

(Quelle: Wiesbadener Kurier vom 22.12.2003 )

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